Viele begabte Menschen, die in der Sowjetzeit künstlerisch arbeiteten, wurden immer durch des Schicksals Fügung unterschätzt und missachtet. Ihre Gemälde und Manuskripte verstauben oft unbekannt in Museumslagern und Archiven, und ihre Namen behalten nur ihre Verwandten im Gedächtnis. Heute erregt ihr Schaffen unser Interesse, und wir vertiefen uns in die Welt der Vergangenheit, deren unbekannte Namen für viele verschleiert bleiben.
      Viktor Juljewitsch Apfelbaum, geboren am 10 November 1916, teilt das Los hervorragender Künstler jener so unruhigen Zeit. Die Mutter des Künstlers, Lehrerin an der musikalischen Fachschule und der Gnessins-Kindermusikschule, sowie sein Vater waren mit Gnessins und vielen anderen Persönlichkeiten befreundet, die in ihrem Haus ein und aus gingen (I. Chwoinik, A. Ossmjorkin, A. Kuprin).
      Trotz des Wunsches seiner Mutter wurde Viktor Juljewitsch nicht zum Pianisten, die Musik übte aber einen zweifellos inspirierenden Einfluss auf seine malerischen Werke aus.
      V.J. Apfelbaum absolvierte hervorragend eine Musikschule, eine künstlerische Berufsschule und studierte 6 Semester lang an der “Kunstfachschule zu Ehren der Revolution 1905“, wobei er gleichzeitig im Atelier von Kuprin arbeitete. Nachdem er 4 Semester an der Leningrader Akademie der Künste erfolgreich studiert hatte, wechselte er ins Moskauer Surikow-Künstlerinstitut, in die Werkstatt von Professor A.A. Ossmjorkin. Am Anfang des Krieges wurde V.J. Apfelbaum samt dem Institut nach Samarkand evakuiert, wo er 1942 seine Diplomarbeit Geleit zum Wehrdienst verteidigte.
      Der Künstler beherrschte Französisch und Deutsch, seine glänzenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Musik und der Malerei versetzten viele Bekannte von Viktor Juljewitsch in Erstaunen. Seine musikalische Begabung bemerkte der bekannte Pianist H. Neuhaus, der ihn wie auch einige andere Professoren als einen „Wettbewerbspianisten“ ins Moskauer Tschaikowski-Konservatorium einladen wollte. Elena Fabianowna Gnessina behauptete, dass ihm gerade die Musik „so eine feine und klare Weltauffassung gab als auch die Kunst, sie durch Farben auf der Leinwand auszudrücken“.*
      Die Lieblingskomponisten des Malers waren Chopin, Schumann und Skrjabin. Auch in den schwierigsten Not- und Hungerjahren, in den schwierigsten Momenten blieben ihm seine Lieblingsopern und –weisen im Gedächtnis verankert. V.J. Apfelbaum schöpfte darin sein seelisches Gleichgewicht und innere Ruhe, wobei er Gedichte aufsagte und seine Lieblingsarien und –opern vor sich hin pfiff und dadurch, so sein Freund der Maler L.M. Chaimow, „die geistige Leere füllte“ **. Viele von denen, welchen es vergönnt war, sich mit ihm zu unterhalten, denken an seine Improvisierungskonzerte zurück, alle sprachen ihm Geistesgegenwart und Willenskraft zu.
      Die Malerei von Viktor Juljewitsch prägte den Sinn seines Lebens, er versuchte immer, an Ausstellungen teilzunehmen und seine Gemälde zu verkaufen, was ihm nur teilweise gelang, obwohl das die einzige Einkommensquelle war. Die Tatsache, dass es unmöglich war, sein Brot anders zu verdienen, prägte einige seiner Werke (hauptsächlich in den 50-er – 60-er Jahren), den meisten von ihnen liegt aber das für die damalige Zeit nicht typische Prinzip l’art pour l’art (Kunst um der Kunst willen) zu Grunde. In dieser Frage teilte V.J. Apfelbaum die Ansicht von R.R. Falk, eines seiner Freunde. „Jetzt wie nie begann ich die ganze Anziehungskraft der Kunst und den ganzen Sinn der für sie gebrachten Opfer zu fühlen,“ – schrieb V.J. Apfelbaum in einem seiner Briefe. – „Ein an der Staffelei verbrachter Tag scheint mir manchmal alles im Leben auszugleichen“.
      Gerade hohes Anspruchsniveau gegen sich selbst, tiefsinnige Analyse, Scharfblick und feines Wissen der Natur liegen den Gemälden des Künstlers zu Grunde, die er für seine Freunde hielt: „Ich empfinde meine Leinwand, meine Arbeit als einen guten Freund, den vertraulichsten Freund, als ein Lebewesen, derentwegen sich das Leben lohnt“.
      „Nur sich niemandem und nichts anpassen, nach niemandem streben, sich selber treu sein“ ist noch ein Motto des Künstlers.
      Der Stil des Malers bildete sich aufgrund der Aneignung der Traditionen russischer und französischer Kunst. Mit seiner Maltechnik, mit Licht- und Luftwiedergabe auf dem Gemälde, sowie mit der Wiedergabe verschiedener Schattierungen von Naturzuständen war V.J. Apfelbaum den Impressionisten am nächsten. Seinen Gemälden aber ist die Stimmungseinheit eigen und keine impressionistischen Tendenzen zur Dematerialisierung des Motivs. Darin schließt sich das Schaffen von V.J. Apfelbaum dicht an die Malerei russischer Künstler vom Ende des XIX. Jahrhunderts an.
      Von seinem Freund und Lehrer A. Kuprin übernahm er die Neigung zu „Bubnovij valet“ (Karo Buben) und Cézanne. Landschaft, Portrait und Stillleben interessierten den Künstler gleichermaßen.
      Das Thema des Lebens in einer Großstadt ist eines der wichtigsten in seinem Schaffen. Ihm gelang es, den Reiz und die Schönheit des alten und neuen Moskaus darzustellen.
      Landschaften der Krim, Moldawiens, Kassimows und Wereas sind von einer besonderen Lyrik erfüllt, darin sind feine Stimmungsschattierungen der Natur ausgedrückt (der Künstler malte gern die gleichen Sujets bei unterschiedlicher Beleuchtung, wenn das darzustellende Motiv an seiner selbstständigen Bedeutung verliert, wobei es zum Anlass für die Wiedergabe des wandelnden Lichtlebens wird).
      Die warme Farbgebung, basiert auf feinen Farbabstufungen, Einheit des malerischen und kompositionellen Baus, Genauigkeit von Farbbeziehungen, Feinheiten bei der Lichtwiedergabe und Leben der Form im Raum waren für den Maler das Hauptsächliche.
      Die Kunst Eigenheit und Einzigartigkeit wiederzugeben ist eine der Besonderheiten im Schaffen von Apfelbaum. Seine Werke sind durch besonderen Wohlklang, Ausdruckskraft und liebevolles Verhalten zum Dargestellten gekennzeichnet.
      Das Stillleben nimmt einen besonderen Platz in der Malerei von Apfelbaum ein. Eine Platte und ein Krug, ein Tischtuch, ein Blumenstrauß sind Gegenstände mit Seele und mit ihrem eigenen einfachen, aber poetischen Leben.
      Im Stillleben, sowie auch in anderen Genres suchte der Künstler nichts Außergewöhnliches, er vermochte es, den künstlerischen Reiz und die Bedeutsamkeit im Alltäglichen zu finden.
      Zum Verständnis seines Schaffens sind seine Portraits von besonderer Bedeutung. Der Blick des Künstlers bemerkte nicht nur die kleinsten Details der Natur, indem er vor uns eine lebendige Gestalt schuf, sondern enthüllte auch die innere Welt seines Helden, drang ins Wesen seines Modells.
      V.J. Apfelbaum widmete der Kunst sein ganzes Leben. 1963 starb der Künstler noch jung an einer schweren Erkrankung, als er noch voller Kreativität war, aber auch das, was ihm vergönnt war zu schaffen, bleibt für immer eine schöne Seite der sowjetischen Kunst.

 

M. Schilowskaja, Moskau, 1996

 

    *Mensch, der Keime sah. Ogonjok, 1964, Nr.24. S. 19 
  **Chaimow (Bezug auf eine Seite der Memorien, auf Artikel von Chaimow)